Rücktritte schaden unserer Gesellschaft

Geiz ist geil, oppositionell originell und Rücktritte aktuelle gute Sitte.

Wer die Norm verfehlt, der geht.

Heutzutage gehört es zum guten Ton, verpassten Chancen auf “Korrektheit” den Kampf anzusagen. Wer der erwarteten “Norm der Masse” nicht gerecht wird, wird entsorgt. Rücktritt ein Modewort.

Dabei ist ein festes Grundmuster zu beobachten:

Rücktritt

Die 10 Phasen eines Rücktritts

  1. Öffentliche Bekanntwerdung eines Fehlverhaltens
  2. Kandidat leugnet
  3. Lauffeuer-Verbreitung und Stille Post-Syndrom
  4. Lagerentscheide, Dafürsprecher und Aufbäumer
  5. Themenrelevante führende Leitfigur(en) oder politisches Oberhaupt signalisieren Rückendeckung
  6. Öffentliche Wahrnehmung nimmt zu, Medien kanalisieren Ergebnisse nach Kaugummiblasenprinzip
  7. Kandidat gesteht und zeigt Reue
  8. Medien nutzen diesen neuen Aufwärmer
  9. “Öffentlichkeit” fordert Rücktritt
  10. Leitfiguren werden angehalten, ihrem Ruf zu frönen – Rücktritt

Was dabei jedoch wirklich geschieht

  1. Die Gesellschaft spiegelt ihre Werte
  2. Kanditat hat gelernt, dass Wahrheit bestraft wird und setzt nun alles daran, sie zu vertuschen
  3. Die Menschen fühlen sich eingeladen, den Besen vor ihrer eigenen Haustür abzugeben
  4. Gegenlager, politische und wirtschaftliche Nutznießer drehen Stellschrauben
  5. In diesem Moment zählt der Wert “einen Schwachen unterstützen”.
    Würde das die Leitfigur nicht tun, hätte sie starke Sympathieverluste zu befürchten. Jedoch weiß bereits jetzt jeder, dass es pure Gaukelei ist
  6. Trittbrettleidende bringen in Sicherheit was noch zu retten ist
  7. Kandidat hat mit Geständnis sein Todesurteil unterschrieben
  8. Öffentlichkeit lernt “halte mit der Norm mit, sonst stehst Du auf dem Pranger”
  9. und entledigt sich dieses Normabweichers
  10. Ein Land hat gelernt und wieder bestätigt:
  • niemals bis zur letzten Konsequenz hinter jemanden zu stehen
  • bei Fehlern bedingungslos zu lügen, denn Fehlverhalten wird bestraft

Die interessante Frage lautet nun:

Wohin führt das? Was bringen die ganzen Rücktritte uns?

  • Deutliche Fehlerzunahmen durch Verhinderung von Fehlertoleranz
  • Niemand traut sich mehr, sich politisch und öffentlich zu engagieren
  • Weit verbreitete krankhafte Angstzustände wie soziale Phobien nehmen weiter zu
  • Der Einzelne sieht bei aufkeimenden Schwierigkeiten wenig Sinn darin, sich mit Mut, Leib und Seele für eine gute Sache oder einen anderen Menschen einzusetzen
  • Die Bereitschaft zur Lüge wird gefördert
  • Die Gesellschaft entwickelt sich immer mehr zu einem oberflächlichen Zeigefingerkabinett

Appell!

Hört auf damit, bei jedem Fehler Rücktritte zu fordern! Bringt unseren Mitmenschen bei, dass es völlig natürlich ist, Fehler zu machen und das auch persönlicher Fortschritt nur durch Entwicklung geschehen kann. Dazu gehören nun mal Fehler!

Ein Wald existiert nicht aufgrund der imposanten Eiche auf einem Hügel, sondern aufgrund der Einzigartigkeit innerhalb der Vielfalt! Das System Mensch kann zwar funktionieren, wenn es nur die Menge der Bäume erkennt. Aber es kann sich nicht entfalten. Der Glückswert einer Gesellschaft hängt von ihrer Fähigkeit ab, Einzigartiges zu suchen und ins Ganze zu integrieren!

Wir brauchen wieder Vorbilder, die bereit sind, sich für etwas einzusetzen und die Werte unseres Systems zu vertreten auch und gerade, indem sie sich Fehler zugestehen. Die Norm darf nicht der Durchschnitt sein!

Tanja Falge

Anmerkung: Dieser Artikel wurde von mir am 9. August 2014 auf einer meiner älteren Webseiten geschrieben. Da ich häufiger Bezug darauf nehme, setze ich ihn in diesem Blog wieder online.

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Tanja ist die Gründerin von Seele auf Kurs. Sie erlebte viele Jahre lang die Hürden der Selbständigkeit und Deutschen Bürokratie (hohe Steuernachzahlungen wegen Liebhaberei, Arbeitsplatzablehnungen aufgrund starrer Titelvorgaben vermeintlich sozialer Träger und unüberwindbare Vorurteile in den Herzen der Menschen gegenüber Nichtstudierten und überhaupt anders Denkenden). Mit den Jahren erkannte sie, dass zwei füreinander geschaffene Menschengruppen aneinander vorbei liefen: 1. zahlreiche gut ausgebildete Coaches, die ebenso mit den Herausforderungen ihrer Existenz zu kämpfen hatten und 2. unzählige Menschen mit dem dringenden Bedarf nach Hilfe ohne den dazu erforderlichen Mitteln. Während die offiziellen Gesundheitskanäle an Überlastung schier platzten, schien man entwicklungsfreudige Menschen dennoch lieber sich selbst zu überlassen, anstatt die akademischen Tore für alternative menschliche Lebenshelfer zu öffnen. Immer wieder rätselte sie darüber, wie man diese beiden Seiten zueinander führen und ihnen helfen könne. Sie entwickelte und verwarf Ideen, produzierte Flyer, sammelte Reaktionen und folgte diversen Achterbahnen ihres eigenen Lebens. Im Jahre '22 las Tanja bei Wikipedia die Definition der High Potentials, die dort unverblümt als akademisch beschrieben wurden. Ihr fiel wie Schuppen von den Augen, dass diese Bezeichnung nicht den evolutionär gut verteilten Fähigkeiten aller Menschen entsprang, sondern einer rein elitären Bewertung. "Demnach sind wir also die Low Potentials oder wie?!" In diesem Moment wurde ihr endgültig klar, dass sie angetreten war, an diesem System zu kratzen.

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